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BGH – Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantragspflicht neu definiert?

Matthias MüllerRechtsanwalt und Steuerberater
Rechtsprechung

Der BGH hält es neuerdings für zulässig, die Zahlungsunfähigkeit für lediglich 4 einzelne Stichtage innerhalb des Prognosezeitraums von 3 Wochen zu ermitteln

Mit Urteil vom 28.06.2022, II ZR 112/21, hat der BGH ein vieldiskutiertes Urteil gefällt. Entgegen (oder in Ergänzung?) seiner bisherigen Rechtsprechung hält es der BGH für zulässig, die Zahlungsunfähigkeit für lediglich 4 einzelne Stichtage innerhalb des Prognosezeitraums von 3 Wochen zu ermitteln.

Bisher wurden liquide Mittel und Verbindlichkeiten über 3 Wochen hinweg zusammengerechnet (sog. „Volumeneffekt“). Ergab das Verhältnis von liquiden Mitteln und eingehenden zu fälligen Verbindlichkeiten im Zeitraum von 3 Wochen 90% oder mehr, bestand für den Geschäftsführer keine Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit. Bei der nun vom BGH gebilligten Stichtagsbetrachtung kann das Unternehmen trotzdem zahlungsunfähig sein. Der BGH hält - doppelgesichtig - aber auch an seiner alten Rechtsprechung zum Volumeneffekt fest.

Das bedeutet, dass Geschäftsführer gut daran tun, die Zahlungsunfähigkeit künftig zumindest auch nach der regelmäßig ungünstigeren Stichtagsbetrachtung zu ermitteln und im Zweifel Insolvenzantrag zu stellen, um eine persönliche Haftung zu vermeiden. Einem ihn in Anspruch nehmenden Insolvenzverwalter kann der Geschäftsführer aber entgegenhalten, dass über den Prognosezeitraum keine Zahlungsunfähigkeit bestand. Die spannende Frage ist, wie es weiter geht. Das bleibt abzuwarten.

 

Matthias MüllerRechtsanwalt und Steuerberater